Nachdem wir uns einen Überblick über die Modes verschafft haben, kümmern wir uns darum, wie dem Fahrzeug mitgeteilt wird, wie weit und wie schnell es fahren darf. Diese Fahrerlaubnis nennt sich Movement Authority oder kurz MA. Auf dieser Seite werden die MA-Messages und die wichtigsten relevanten Packets beschrieben.
Eine MA ist in Level 2 eine Message (die Nummer 3 oder 33) vom RBC mit mindestens einem Packet. In Level 1 erfolgt die Übertragung per Balise bzw. per Loop- oder Radio-Infill, ansonsten wird ein ähnliches Packet genutzt. Unabhängig vom Level gehören noch weitere Informationen zur MA, die entweder in der gleichen Message bzw. der gleichen Balisengruppe oder auch bereits vorab übertragen werden können.
Zum Verständnis ist wichtig, dass alle Informationen, die auf einen Ort bezogen sind (MA, Streckendaten) einen Bezugspunkt benötigen. Das ist die übertragende Balisengruppe. Da die erste und letzte Balise einer Gruppe rund 100 m auseinander liegen dürfen, gilt die jeweils erste der "Nominalrichtung" als Referenz. Allerdings kann diese dupliziert sein, dann wird der Bezugspunkt so ungenau angegeben, dass beide Balisen passen. In Level 2/3 wird die zuletzt vom Fahrzeug gemeldete Balisengruppe als Ortsreferenz genutzt, die Last Relevant Balise Group oder LRBG.
In Message 3 wird normalerweise eine Movement Authority an ein Fahrzeug in Level 2 gesendet. Sie kann aber auch an ein Fahrzeug in einem anderen Level gesendet werden, wenn diesem Fahrzeug die Aufnahme angekündigt wurde.
Zur Message 3 gehört immer das Packet
P15/Level 2 Movement Authority.
Außerdem sind die Packets
P21/Gradient Profile,
P27/International Static Speed Profile,
P49/List of balises for SH Area und
P80/Mode profile zulässig.
P21 und
P27 sind dabei typische Bestandteile der
MA, das P80 ist enthalten, wenn der Zug
(teilweise) in Mode OS oder
Mode SH fahren soll. Ab
Systemversion 2.0
ist formell auch Mode LS zulässig.
Das P49 kann für den
Mode SH mitgegeben werden und
enthält die Balisengruppen, die das Fahrzeug beim Rangieren passieren
darf.
Darüber hinaus gibt es noch eine lange Liste von "common optional packets", die in fast allen Messages an ein Fahrzeug enthalten sein dürfen: 3, 5, 31 (ab Systemversion 2.3), 32 (ab Systemversion 2.3), 39 (in frühen Versionen der B3 38), 40 (ab Systemversion 2.0), 41, 42, 44, 45, 51, 52 (ab Systemversion 2.0), 57, 58, 64 (ab Systemversion 2.0), 65, 66, 68, 69 (ab Systemversion 2.0), 70, 71, 72, 76, 79, 88 (ab Systemversion 2.0), 131, 138, 139, 140, 180 (ab Systemversion 2.0) und 181 (ab Systemversion 2.0). In den weitaus meisten MA ist das Packet P5/Linking enthalten, die anderen Packets sind situationsbedingt seltener in Gebrauch.
Ist doch alles ganz einfach und übersichtlich, oder?
Die Erteilung einer MA unter Bezug auf die LRBG hat ein Problem, wenn die LRBG nicht hinter dem Zug ist: In dieser MA können dem Zug nicht die erforderlichen Fahrwegdaten gesendet werden. Fehlen die Fahrwegdaten unter dem Zug, so bedingt das nur ein Mehr an Verantwortung für den Triebfahrzeugführer. Dieser bekommt dann "Entry in Full Supervision" (oder On Sight) angezeigt und muss selbst zusehen, dass das Ende seines Zuges nicht zu schnell fährt.
Richtig problematisch wird es, wenn die LRBG vor der Zugspitze liegt. Dann fehlt in der MA die Information über den Fahrweg zwischen Zugspitze und LRBG. Die MA wirkt dann nicht etwa erst ab LRBG, sondern muss vom Fahrzeug aufgrund unvollständiger Fahrweginformationen verworfen werden.
Noch mal überlegen, die LRBG vor dem Zug? Ja sicher, das passiert immer dann, wenn der Zug nach dem Lesen einer Balisengruppe hält und die Fahrtrichtung wechselt. Also beispielsweise, wenn ein Zug in einem Bahnsteiggleis bereitgestellt wird oder sich in einem Kopfbahnhof befindet.
Um das Problem mit der LRBG zu lösen, kann der Bezugspunkt, also die Ortsreferenz, verschoben werden. Auf Englisch ergibt das die Shifted Location Reference. Die M33 ist demzufolge auch nichts anderes als eine M3, in der alle Ortsangaben um eine angegebene Distanz in Nominalrichtung der LRBG verschoben sind. Genutzt wird das in der Regel im genannten Fall des Zuges vor/über der LRBG. Theoretisch geht es aber auch anders herum.
Das Packet 12 enthält die eigentlichen MA-Daten für Level 1,
Packet 15 jene für Level 2. Da es nur einen Unterschied zwischen
beiden gibt, beschreibe ich sie zusammen.
In B2 und B3 hieß Packet 15 noch "Level 2/3 Movement Authority").
Die wichtigsten Informationen sind naturgemäß:
Die erste Frage, die nach der Geschwindigkeit, beantwortet nur das P12/Level 1 Movement Authority, und auch das nicht vollständig. Dafür gibt es in ETCS andere Mittel. Die anderen und noch einige weitere Punkte werden jedoch ausführlich behandelt.
Das Ziel nennt sich fachsprachlich End of Authority (EOA), wobei je nach Quelldokument das Akronym auch mal EoA sein kann. Im Normalfall ist die Zielgeschwindigkeit 0, d. h. das Fahrzeug muss am EOA stehen. Die Zielgeschwindigkeit kann aber auch größer als 0 sein, dann nennt sich das EOA Limit of Authority (LOA). Dennoch heißt das nicht, dass das Fahrzeug über das LOA hinaus fahren darf bzw. kann, denn beim Passieren des EOA/LOA wechselt das Fahrzeug immer nach Trip. Ein LOA macht also nur Sinn, wenn kurz vorher eine neue MA übertragen wird oder aus der ETCS-Führung entlassen wird. Zusätzlich kann die LOA-Geschwindigkeit auch noch zeitgesteuert ungültig werden, also LOA zum EOA.
Die unglückliche Doppelbedeutung von EOA als End of Authority mit Geschwindigkeit 0 und zugleich als Oberbegriff für EOA und LOA wurde mit B3R2 behoben. Der Oberbegriff lautet nun End of Movement Authority (EMA, als Akronym jedoch nur in Variablennamen genutzt).
Technisch gibt das EOA an, wo die Betriebsbremskurve des Fahrzeugs die Nulllinie schneidet bzw. bei LOA die LOA-Geschwindigkeit. Berechnet wird das mit der wahrscheinlichen Zugposition (EstimatedFrontEnd), also ohne Berücksichtigung der Ortungsungenauigkeit.
Das Kriterium für den Trip ist hingegen relativ tolerant, da hier das MinSafeFrontEnd bewertet wird, jedenfalls in Level 2. In Level 1 erfolgt der Wechsel nach Trip, wenn das Fahrzeug mit der MinSafeAntennaPosition den EOA passiert, ohne eine neue MA empfangen zu haben. In beiden Fällen ist es also "garantiert zu spät".
Der Gefahrpunkt wird als Danger Point (DP) bezeichnet. Der liegt aber hinter dem Zielsignal, darf der Zug denn bis dort fahren, wenn einer angegeben ist? Nein, er muss schon am Signal halten. Jetzt kommt wieder die Tatsache ins Spiel, dass es neben den Betriebsbremskurven auch Schnellbremskurven gibt. Und die Schnellbremskurven beziehen sich auf die Supervised Location (SvL), die am DP liegt bzw. wenn ein Durchrutschweg angegeben ist an dessen Ende. Der Durchrutschweg kann dabei zu einer bestimmten Zeit nach Passieren eines definierten Orts vor dem EOA automatisch aufgelöst werden. Das sollte durch ETCS nicht später geschehen als im Stellwerk.
Technisch gibt die SvL an, wo die Schnellbremskurve des Fahrzeugs die Nulllinie schneidet. Berechnet wird das mit der vordersten möglichen Zugposition, dem MaxSafeFrontEnd.
Nun gibt es noch ein Problem, besonders wenn der Zug weniger weit gekommen ist als erwartet: Die Annäherung an das EOA, wird mit dem EstimatedFrontEnd überwacht, die an die SvL sogar mit dem MaxSafeFrontEnd. Es kann also passieren, dass der Zug so restriktiv gehandhabt wird, dass er das Zielsignal nicht erreicht. Um dem entgegen zu wirken, kann mit Release Speed gearbeitet werden. Die Bremskurven werden dabei normal berechnet, aber nicht mehr überwacht, sobald die relevante Bremseingriffskurve die Release Speed erreicht. Danach greift bei Überschreiten dieser Geschwindigkeit immer die Schnellbremsung ein. Die Warnung erfolgt etwas darunter, die Sollgeschwindigkeit wird aber weiterhin normal angezeigt.
Die Release Speed kann vom Fahrzeug so berechnet werden, dass die Distanz zwischen EOA (bezogen auf MinSafeFrontEnd) und SvL (bezogen auf MaxSafeFrontEnd) für eine Schnellbremsung ausreicht. Sie kann aber auch von der Strecke mitgegeben werden. Da eine Schnellbremsung von EOA bis SvL möglich sein muss, die SvL aber mit Löschen des Overlaps geändert wird, sind für Overlap und DP unterschiedliche Release Speeds definiert.
Eine MA besteht aus mindestens einer Section, der Endsection. Die Gültigkeit der MA kann zeitgesteuert nach Erreichen eines bestimmten Ortes vor dem EOA beendet werden, d. h. das EOA wird auf die Zugspitze gesetzt und die Zielgeschwindigkeit wird zu 0 (LOA wird EOA). Das kann sinnvoll sein, um eine stellwerksseitig vorgenommene Auflösung unter dem Zug im Zielgleis zu berücksichtigen.
Es können zusätzlich noch bis zu fünf weitere Sektionen angegeben werden. Hier gibt es ebenfalls Timer für zeitgesteuerte Auflösung, diese werden aber direkt mit Erteilen der MA wirksam. Gestoppt werden sie, wenn das Fahrzeug einen bestimmten Ort in der Section erreicht. Diesen Timer gibt es auch für die Endsection. Es gibt aber keine Vorschrift, die zusätzlichen Sections überhaupt zu nutzen oder sie auf Fahrstraßen zu beziehen.
In Level 1 werden ohne Infill weiterhin Signale genutzt, außerdem ist ja auch die Nutzung von LEU von Signalen abhängig. Klassische Signalsysteme kennen bekanntlich oft eine Geschwindigkeitssignalierung, ETCS macht die zulässige Geschwindigkeit aber von Streckenprofilen abhängig. Das kann unkritisch sein, wenn in Level 1 die jeweils abschnittsweise mögliche Geschwindigkeit ausgefahren werden darf. Vielleicht ist das bei einer Bahnverwaltung jedoch nicht regelkonform. Um nun zu vermeiden, dass die Streckenprofile durch die LEU an die signalisierte Geschwindigkeit angepasst werden müssen, gibt es ausschließlich im Packet 12 einen Parameter für die Signalling related speed restriction. Diese gilt für die gesamte Ausdehnung der MA.
Linking stellt Verbindung zwischen Balisengruppen her und ist ein wichtiger Bestandteil von ETCS. Mit Linking wird folgendes erreicht:
Es muss zwischen verlinkten und unverlinkten Balisengruppen einerseits und der Aufnahme einer Balisengruppe in das Linking unterschieden werden:
Damit ist zu Linking fast alles geschrieben. Das Packet enthält für jede verlinkte Balisengruppe die Distanz vom Vorgänger, die Ungenauigkeit, die erwartete Richtung und die Reaktion bei Nichtlesen bzw. Lesefehlern. Es soll ausgegeben werden, wenn die Informationen verfügbar sind, und wird es in der Praxis auch, ist aber rein formell für eine MA nicht erforderlich.
Das Gradientenprofil ist relativ unspektakulär. Es gibt abschnittsweise die Neigung der Strecke an. Da die Strecke nicht dezimeterweise berechnet werden soll, bildet man "handliche" Stücke und gibt deren minimale Neigung (also das größte Gefälle bzw. die kleinste Steigung) an. Die Länge kann stückweise festgelegt werden. Für die Neigung gilt eine Auflösung von einem Promille, der Maximalwert ist 254 ‰ Bis zu 32 Segmente sind möglich. Bedingt durch das Bilden der Minima gelten die Werte der einzelnen Segmente, wenn nicht sogar die Segmentgrenzen, in der Regel nur in eine Richtung. Da ein Gradient bis zum Beginn des nächsten Segments gilt, spricht man von einem kontinuierlichen Profil.
Das Geschwindigkeitsprofil gibt an sich abschnittsweise die zulässige Geschwindigkeit an, analog zu den Gradienten im P21. Da sich diese Geschwindigkeiten vor allem aus den Kurvenradien ergeben, können die Segmentierung und auch die Werte der einzelnen Segmente in beiden Richtungen gleich sein, das ist aber reine Projektierung. Es sind ebenfalls bis zu 32 Segmente möglich, die Geschwindigkeiten reichen in Schritten von 0 km/h bis 600 km/h - allerdings macht die 0 keinen Sinn.
Zusätzlich zur allgemeinen Geschwindigkeit können in das SSP zugkategoriespezifische Geschwindigkeiten aufgenommen werden. So kann die Geschwindigkeit für schwere Güterzüge zusätzlich begrenzt oder für Neigetechnikzüge erhöht werden. Allerdings müssen diese Änderungen die gleichen Segmentgrenzen nutzen. Es sind zwar 15 Zugkategorien pro Segment zulässig, aber ein solches Packet würde sowohl für Eurobalise als auch für Euroradio zu groß sein.
Die Definition der Zugkategorien ist auch etwas seltsam. In Baseline 2 gab es ursprünglich drei Werte: Active tilting SSP, Passive tilting SSP und Cross wind sensitivity. In der letzten Version 2.3.0d lautete das dann International Train category 1 bis International Train category 15, wobei ein Zug beliebig vielen (also bis zu 15) Kategorien angehören durfte. Ab Systemversion 2.0 wurde die Zugkategorie aufgesplittet. Es gibt dort zwar weiterhin 15 kombinierbare Kategorien, von denen aber nur drei definiert sind, die sich betrieblich ausschließen: Personenzug, Güterzug Bremsstellung "P" und Güterzug Bremsstellung "G". Zusätzlich gibt es einen eigenen Parameter für den zulässigen Überhöhungsfehlbetrag, der mit 11 nicht kombinierbaren Werten definiert ist.
Es ist nicht verboten, das SSP spezifisch anzupassen. Streckenseitig können also neben den statischen Streckendaten mehr oder weniger beliebige dynamische Einschränkungen in das SSP eingearbeitet und an das Fahrzeug ausgegeben werden. Hier ein paar Beispiele:
Dieses Packet enthält eine Liste von 0 bis 15 Balisengruppen, die
ein Fahrzeug in Mode SH
passieren darf. 0 heißt dabei, dass keine Balisengruppe passiert werden
darf. Wird kein Packet 49 übergeben, so dürfen alle Balisengruppen
passiert werden. Die Begründung "This packet will never be
combined with other packets requiring a big data volume." aus
Subset 040 ist allerdings Unsinn, da es mit einer MA kombiniert
werden darf und dort u. a. das SSP enthalten ist.
Das Packet hieß vor Baseline 4 noch "List of balises for SH Area".
Der Name wurde geändert, da das Packet keine Balisen
referenziert, sondern Balisengruppen.
Mit Packet 80 kann angegeben werden, in welchen Bereichen der MA der Zug nicht in Mode FS, sondern in OS, LS (ab Systemversion 2.0) oder SH fahren soll. Anders als bei GP und SSP müssen die Segmente hierbei nicht direkt aneinander grenzen, das MP ist ein diskontinuierliches Profil. Die Zahl der Segmente ist auch wesentlich geringer, es gibt maximal drei. Eine gewisse Sonderstellung nimmt dabei das SH ein, da der Zug beim Wechsel nach Shunting die MA und das MP löscht. Praktisch hat das SH-Profil also nur einen Anfang, aber kein Ende.
Auf der nächsten Seite betrachten wir noch die anderen Informationen von der Strecke an das Fahrzeug.
Rundweg (Von der Strecke an den Zug)
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